Februar

Vom 08. bis 12.02 arbeitete ich im Waisenhaus. Dort ist in der Regel wenig zu tun, da die meisten Freizeitaktivitäten der Mädchen wegen Corona nicht stattfinden können. Ich begleite also nur manche Kinder zur Schule, zum Psychologen oder beim Radfahren.

Wenn das Wetter gut ist, gehe ich gerne mit den älteren Mädchen in die Stadt. Auch Nele und Sophie kamen in dieser Woche mit. Die beiden hatten nämlich zwei Tage frei, da die Kinder und das Personal im Behindertenheim Agios Andreas geimpft wurden. Wir selbst haben bis jetzt allerdings kein Anrecht auf eine Impfung.

Im Waisenhaus als unserem “Zuhause” für die 10 Monate fühle ich mich nach wie vor wohl, ein Einzelzimmer werde ich aber voraussichtlich nicht bekommen.

Stadtspaziergang


Die Kinder hier lernen wir immer besser kennen und sie wachsen mir sehr ans Herz, auch wenn oder gerade weil sie ihre Päckchen zu tragen haben. Von einigen erfahren wir ihre Geschichten und Schicksale. Diese gehen mir sehr nahe und berühren mich sehr. Wie unvorstellbar ist für mich der Gedanke, dass es keinen Menschen gibt, der mich liebt? Dass ich nichts habe, was mich im und am Leben hält? Genau diese Erfahrung aber mussten die Mädchen hier im Waisenhaus machen. Bevor sie hierher kamen, lebten sie in Armut, nicht wenige haben Misshandlung, Gewalt und Drogenmissbrauch erlebt, wurden verstoßen oder müssen sogar Angst vor ihren eigenen Eltern haben. Sie haben keine Familie, die sie unterstützt, erfahren keine echte Liebe und haben kaum Perspektiven. Wenn sie mir davon erzählen, frage ich mich oft, wie ein Mensch das ertragen kann. 


So ist es zwar nicht überraschend aber trotzdem schrecklich, dass einige bereits 

Suizidversuche unternommen haben. Bei dem Lärm, lautem Lachen, Herumgerenne und Geschrei könnte man manchmal fast vergessen, dass dieses Haus so viel Traurigkeit und Depression beherbergt. Mich belasten diese Geschichten zwar sehr- aber sie erinnern mich auch immer wieder daran, wie unendlich dankbar ich sein kann und muss. Dankbar für die Liebe und Unterstützung, die ich von meiner Familie und Freunden bekomme, und für die vielen Chancen die ich in meinem Leben habe. Und ich möchte Euch an dieser Stelle sagen: Denkt häufiger daran, wie gut es Euch geht!



Ein Mädchen begleite ich zu Fuß zur Berufsschule, einfach weil wir uns gut verstehen, nicht, weil sie noch Begleitung bräuchte. Dort habe ich schon einige ihrer Freunde kennengelernt, und ich finde es immer wieder toll, Einblicke in den Alltag der Jugendlichen hier in Griechenland zu bekommen. Vor der Schule sitzen alle noch am Tisch, rauchen, erzählen, rufen sich über das Gelände zu, trinken ihren Frappé - und wenn die Schulklingel ohrenbetäubend ertönt, regt sich gar nichts. Auch beim zweiten Mal nicht. Wenn der Lehrer dann viel zu spät auf seinem Roller auf das Gelände fährt, wird selbstverständlich noch ganz in Ruhe zu Ende geraucht/ getrunken/ erzählt, bevor die Schüler dann endlich in das total heruntergekommene Gebäude schlendern. Wenn ich da so an meine Schulzeit in Deutschland denke.. uff! (und ich fand uns schon nicht so besonders diszipliniert!)

das Schulgebäude


In den letzten beiden Februarwochen arbeitete ich dann wieder im Agios Andreas, dem Heim für behinderte Kinder. So langsam kehrt der Frühling ein, so dass wir zunehmend Zeit draußen verbringen können. Das ist für uns und die Kinder immer sehr schön. Wir schaukeln, setzen uns auf eine Decke ins Gras oder gehen einfach ein bisschen auf dem Gelände spazieren.

 

Mit Emilia (für mehr Details zu den Kindern siehe: https://alikirhodos.blogspot.com/2020/11/oktober.html)  habe ich besonders viel Zeit verbracht. Wir trainieren mit ihr weiterhin das Laufen, das eigenständige Essen und fördern ihre Sprache. Ihr Lieblingswort ist “Bu” oder “Bubu”. Das ist ein Fortschritt und so süß, wenn sie das sagt! Mit einfachen Gesten kann sie sich jetzt ein wenig verständigen. Wenn sie beide Hände ausstreckt möchte sie aufstehen, bzw. benötigt Hilfe beim Gehen. Wenn ich sie frage, ob sie schaukeln möchte und ihr dafür meine Hand anbiete, kann sie ablehnen oder einwilligen. Das allein gibt ihr ein bisschen Entscheidungsfreiheit über ihren Körper und über eine mögliche Aktivität. Das hatte sie vorher nie. Wenn sie ihre Hand nach etwas ausstreckt möchte sie die jeweilige Sache. Meine Hand nimmt sie oft und möchte, dass ich für sie klatsche. Am liebsten die ganze Zeit und zu Musik, in die Hände oder auf die Oberschenkel - ganz egal. Wenn ich dann irgendwann schon nichts mehr spüren kann vom ganzen Klatschen und eine Pause mache kommt: “Bubu?” Und wenn ich dann wieder klatsche und sie anfängt zu lachen, dann vergesse ich meine tauben Hände ganz schnell wieder :)  Auch Costa (https://alikirhodos.blogspot.com/2020/11/oktober.html) macht Fortschritte. Er spuckt seltener und kann jetzt, wenn er etwas nicht möchte, dies durch Laute (“a-a”) ausdrücken.

mit Emilia, Costa und Sophie auf dem Spielplatz


Wie viel Einfluss wir auf das Leben der behinderten Kinder haben, ist mir nicht von Anfang an klar gewesen. Wenn wir nicht mit ihnen nach draußen gehen, macht es an diesem Tag vielleicht niemand. Sie freuen sich so über Zuneigung, Körperkontakt und die Beschäftigung. 

Die Psychologin Helga gibt uns immer neue Ideen, wie wir die Kinder weiter fördern können, und freut sich mit uns über die Fortschritte der Kinder. Ich selbst merke, wie sehr ich mich an die Kinder gewöhnt und sie ins Herz geschlossen habe. Ich spüre auch umgekehrt, dass die Kinder eine Bindung zu uns entwickelt haben, uns mögen und uns vertrauen. Ihre Freude ist so offensichtlich und unverstellt, das ist richtig schön!


An zwei Sonntagen waren wir außerdem wieder bei Martin und Monika in der Gemeinde zum Essen eingeladen, was jedes Mal sehr lecker und unterhaltsam ist. Den Valentinstag verbrachten wir bei der Familie, die wir durch eine ehemalige Deutsche kennengelernt haben, und bei der wir bereits im Januar einmal eingeladen waren. Auch das war eine schöne Abwechslung!



Martin, Nele, ich, Sophie, Niclas und Rose mit Monika beim Essen

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt leider auf Rhodos an, so dass wir erneut härtere Maßnahmen befürchten müssen. Es ist besonders schade, da die Saison bald beginnen soll und wir uns gerade über einige Lockerungen gefreut hatten. 

Das war jetzt mein “Halbzeit-Bericht”, es sind tatsächlich schon über 5 Monate vergangen! Mittlerweile fühle ich mich richtig angekommen und freue mich jeden Tag, hier zu sein.






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Kommentare

  1. du süße Maus, bin ganz stolz auf dich <33

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  2. Liebe Aliki. Das machst du wirklich sehr toll. Es ist bestimmt nicht einfach, aber bei den Fortschritten kannst du so auch eine innere Zufriedenheit erhalten. Wir jammern trotz Pandemie ja immer auf einem hohen Niveau, und es stimmt so gesehen haben wir es immer noch sehr gut hier. Die Zeit vergeht und hier geht der Lockdown leider weiter. Viele liebe Gruesse 🤗 Michali

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  3. Chalkidiki
    So sehr ich mir auch wünsche, dich endlich mal wieder zu sehen, liebe Aliki, freue ich mich auch für dich, dass du dich auf Rhodos wohl fühlst, nützlich und gebraucht! Jetzt werden die Tage wieder länger und wärmer, und du wirst es genießen, bei den Kindern die Osterfreude zu wecken und zu zelebrieren. Ich wünsche dir wieder einen ganz schönen Monat, in dem du viel Freude geben und empfangen kannst. Umarmung aus der Ferne von deiner Oma Uta.

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  4. Hallo Aliki,
    wir kennen uns nicht, aber ich habe ein für mich wichtiges Anliegen. Ich habe einen lieben, langjährigen Freund, der im Altersheim in Kolymbia lebt. Leider konnte ich ihn wegen der Pandemie zuletzt im Sommer 2019 besuchen und dabei sehen und erfahren, wie es ihm geht. Könntest Du mir dabei behilflich sein, etwas über ihn in Erfahrung zu bringen? Das Heim in Kolymbia gehört ja zu den beiden Einrichtungen, in denen Du tätig bist und der Jahrgang vor Dir wurde ja auch sogar in Kolymbia eingesetzt.
    Ich werde in den nächsten Tagen hier mal wieder schauen, ob Du mir geantwortet hast.
    Viele Grüße, Melanie Jacobi

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  5. Liebe Melanie,
    ich sehe Deinen Kommentar erst jetzt. Das tur mir sehr leid! Ich möchte Dir gerne helfen, weiß aber nicht wie... Ich war noch nie in Kolymbia und habe nur Rose als Kontaktperson dorthin. Ich werde Sie fragen, ob Sie eine Idee hat, wie ich etwas herausfinden kann. Melde Dich gerne direkt bei mir. Hier bin ich, wie du gesehen hast, nicht so aktiv. Meine Emailadresse lautet anestoris@gmail.com

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