Oktober

Am 01.10. begann die Arbeit im Behindertenheim Agios Andreas. Wir fahren morgens immer mit dem Bus zur Einsatzstelle, Niclas steigt dazu. Dort angekommen, wurden uns die Räumlichkeiten gezeigt und Bewohner und Mitarbeiter vorgestellt. Die Einsatzstelle beheimatet ca. 20 Bewohner mit verschiedenen Behinderungen. Deshalb haben auch alle verschiedene Fähigkeiten: einige können nur liegen, manche sitzen im Rollstuhl, andere können sich frei bewegen, sprechen oder selbständig essen. Leider wird wenig auf die Behinderten eingegangen, es gibt kein individuelles Programm und wenig Förderung von Stärken (z.B. keine Behinderten-Werkstätten o.Ä.) 

In den folgenden Tagen unterstützten wir die Pflegekräfte bei der Arbeit und kümmerten uns um die uns zugewiesenen Kinder. 


Das erste Wochenende nutzten Nele und ich, um die Insel zu erkunden. Wir fuhren mit einem Mietwagen zu der bekannten Anthony Quinn Bucht, die besonders zum Schnorcheln interessant ist. Dann ging es auf die Inselmitte, in das Schmetterlingstal “Petaloudes”. Allerdings waren nur noch wenige Schmetterlinge der Art “Russischer Bär” da. Diese kommen nämlich Mitte Juni und bleiben nur bis Ende September. Sie werden von dem Harzgeruch des Amberbaums angelockt, der dort wächst. Aber allein der Natur wegen hat sich der Ausflug gelohnt. Danach fuhren wir ohne konkretes Ziel die Landstraßen entlang und stoppten immer, wenn wir etwas Interessantes entdeckten. Wir begegneten Hirschen und durchquerten dichte Wälder sowie durch steppenartige Landschaften. Es ist wirklich toll, wie abwechslungsreich die Flora und Fauna von Rhodos ist! Den Sonnenuntergang bestaunten wir dann auf dem Rückweg am Kallithea Strand.


Am Montag den 05.10. bot ich an, die erste Woche im Waisenhaus zu arbeiten, während die anderen drei im Agios Andreas sein würden. 

Wie bereits im Vorwort (https://alikirhodos.blogspot.com/2020/10/vorwort.html) erwähnt, begleiten wir im Waisenhaus die Mädchen zu ihren Nachmittagsaktivitäten. Morgens erhält man das Programm, holt dann ca 15 min. vor dem Termin die Kinder am Aufenthaltsraum ab und fährt mit dem Fahrer Vassili und dem Kind zur Nachhilfeschule, zum Basketball oder anderen Verabredungen und Terminen und holt sie später wieder ab. Diese Aufgabe ist, wie Ihr Euch denken könnt, sehr eintönig. Mir ist aber auch bewusst, dass die Kinder ohne diese Begleitperson nicht am “sozialen Leben” teilnehmen könnten. Es ist nämlich gesetzlich vorgeschrieben, dass Kinder in staatlicher Obhut von mindestens zwei Personen begleitet werden müssen. Die Freizeit zwischen den Terminen in dieser Woche nutzte ich, um mich mit Mama und Papa zu treffen, die vom 05.-11. Oktober zu Besuch waren. Ich zeigte ihnen meine liebsten Cafés, wir schlenderten durch die Altstadt und gingen abends wunderbar essen.


Am Samstag machte ich mit ihnen einen Tagesausflug. Mit einem Mietwagen fuhren wir nach Kamiros; eine Stadt die zweifach von Erdbeben heimgesucht -(zuletzt 139 n.Chr.) und schließlich nicht wieder aufgebaut wurde. Danach ging es weiter zur Burgruine Kritinia, von der man einen atemberaubenden Blick auf umliegende Inseln wie Chalki hat. Die Burg wurde 1472 von den Kreuzrittern erbaut und gilt als eine der besterhaltenen Burgen in der Region. Weniger gut erhalten ist die 1476 erbaute Johanniterburg Monolithos, die wir im Anschluss besichtigten. Aber auch hier hat man eine einzigartige Aussicht. Im etwas weiter im Landesinneren gelegenen Dorf Monolithos aßen wir in einer gemütlichen Taverne, bevor wir das südliche Ende der Insel, genannt Prassonissi, erreichten. Diese Spitze ist bekannt als das Paradies für Kite- und Windsurfer. Die bunten Schirme und Drachen sehen wirklich toll vor dem strahlend blauen Himmel aus. Fotos seht ihr unten. Zum Abschluss badeten wir in einer kleinen ruhigen Bucht an der Ostküste. Es war ein schöner Tag! Zurück am Waisenhaus musste ich meine Eltern dann verabschieden, denn am nächsten Tag flogen sie zurück nach Hamburg. Eigentlich sind sie ja doch ganz nett :)


Am Sonntag folgte dann gleich der nächste Ausflug. Sophie, Nele und ich mieteten uns ebenfalls ein Auto und besuchten das 220 m. über dem Meer gelegene Tsambika-Kloster. Hier führen 300 Stufen hoch zu einer “wundersamen Ikone” die beim Kinderwunsch helfen soll. Die Legende besagt, dass Fischer die Ikone am unten gelegenen Strand (andere Quellen behaupten auf einem Baum in Archangelos) fanden und bald feststellen, dass diese aus Zypern verschwunden war. Mehrmals wurde die Ikone dorthin zurückgebracht, aber tauchte immer wieder am Tsambika-Strand auf. Die Ikone soll zu den Fischern gesagt haben, sie mögen ihr auf dem Berg eine Kirche bauen. Die kinderlosen Frauen, die dabei halfen, wurden später- wie durch ein Wunder- schwanger.

Frauen, die sich ein Kind wünschen, gehen seither diese Stufen auf Knien hoch. Sie legen ein Gelübde ab: Wenn sie tatsächlich schwanger werden, nennen sie ihre Kinder “Tsambika” oder “Tsambikos”. Und es scheint zu funktionieren: Hier im Waisenhaus und auch im Agios Andreas heißen Betreuerinnen Tsambika! Nach diesem körperlich anstrengenden “Kulturprogramm” legten wir uns an die Tsambika-Bucht und genossen die Sonne und das türkise Meer.

Der letzte Stopp war dann noch einmal Prassonissi. Sophie und Nele kannten das ja noch nicht, und mir machte ein zweiter Besuch nichts aus. Im Hochsommer kann man über eine Sandbank auf die gegenüberliegende Halbinsel gehen. Das war an diesem Tag aber nicht der Fall, das Wasser ging ungefähr bis zum Bauchnabel. Während die Mädchen den Übergang wagten, passte ich offiziell “auf die Wertsachen auf” las dabei und trank einen Eiscafé am Strand.

Das Wochenende haben wir also voll ausgenutzt!



Am Dienstag arbeitete ich dann mit Nele und Niclas im Agios Andreas. Hier sind wir hauptsächlich für drei Kinder zuständig. Zum Schutz der Kinder muss ich diese hier umbenennen. 

  • Rosa ist acht Jahre alt, und ihr fehlen Wirbel und Armknochen. Sie spricht nicht, kann aber alleine essen und ist sehr selbstbestimmt. Sie liebt es zu schaukeln und mit Tannennadeln, Fäden oder Erde zu spielen.

  • Emilia ist 14 Jahre alt, hat Spasmen in den Bewegungen und kann nur beschränkt gehen und stehen, sitzt also die meiste Zeit im Rollstuhl. Sie lacht sehr viel. Wenn ihr etwas nicht gefällt, haut und beißt sie. Sie braucht Unterstützung beim Essen. Emilia und Rosa teilen sich ein Zimmer.

  • Costa ist ebenfalls acht Jahre alt und Autist. Bei emotionaler Aufregung übergibt er sich. Er ist sehr aufmerksam und liebt es, Sachen auseinander zu bauen (kaputt zu machen). Er ist nicht gerne mit vielen Menschen zusammen und braucht immer eine Rückzugsmöglichkeit. Er kann drei Wörter: “auf” und “zu” sowie “komm” auf griechisch und gibt auch sonst Laute von sich.


Die Mitarbeiter sind freundlich, manche allerdings wenig engagiert. Es kommt vor, dass die Bewohner ein oder zwei Tage ihre Zimmer nicht verlassen. Ebenso passiert es, dass die Kinder manchmal einfach nicht frisch gewickelt werden. Die Zimmer gleichen teilweise Zellen, in denen nur eine Matratze liegt. Sonst nichts… Der Standard ist also ziemlich einfach.


In dieser ersten Zeit sollten wir die Kinder immer mit einer anderen Aufsicht aus dem Zimmer nehmen. Dann setzten wir uns draußen hin, spielten mit Baukästen, dem Ball, schaukelten oder wippten und schoben Emilia und andere im Rollstuhl über das Gelände.


Am Sonntag, dem 18.10., besuchte ich dann mit Sophie den Großmeisterpalast, der Ausstellungen über die Byzantine und das Antike Griechenland sowie über Mosaike von Kos beherbergt.

Wir gingen über die original erhaltene Ritterstraße in die Altstadt und kamen irgendwann wieder am Mandraki Hafen an, wo wir mit Niclas Kaffee tranken. Auf den Felsen am alten Leuchtturm genossen wir dann die letzten Sonnenstrahlen, bis wir uns auf den Weg in die Gemeinde machten. Dort sind wir nämlich jeden Sonntag von dem Pastorenehepaar zum Essen eingeladen, Rose kommt auch dazu. Das ist immer eine nette Runde, und ich bin sehr dankbar dafür. 


Da wir im Agios Andreas von Dienstag bis Samstag arbeiten, nutzten wir auch unseren freien Montag, um die Stadt weiter zu erkunden. Sophie und ich gingen auf die Stadtmauer und besichtigten zusammen mit Niclas das Archäologische Museum. Ausgestellt sind Keramiken, diverse Funde und Büsten. Sehenswert ist aber auch das Gebäude und die Anlage. Danach gingen wir, wie immer, Kaffeetrinken. Soweit haben wir die griechische Kultur schon übernommen. Uns wurde es auch nicht langweilig, den Sonnenuntergang am Meer zu bestaunen - die Farben sind einfach soo schön.


Dienstags besuchen wir jetzt regelmäßig das in der Gemeinde stattfindende Frühstück. Die Teilnehmer sind alle sehr nett, und wenn man etwas braucht, ist man hier auch immer an der richtigen Adresse. In Griechenland kennt ja immer jemand jemanden der jemanden kennt.


In der folgenden Woche hatten wir außerdem einen Termin bei unserer Psychologin Helga. Diese Seminare sind Bestandteil unseres Aufenthalts. Wir sprechen viel über uns als Gruppe und vor allem über die Arbeit in den Einsatzstellen, die nicht immer einfach ist. Zu sehen, in welchem Elend Menschen hier leben oder welche Schicksale uns umgeben, ist oft hart. 


Im Agios Andreas wurde uns immer mehr anvertraut, und wir, wie auch die Kinder, gewöhnten uns aneinander. Wir haben alle Spaß an der Arbeit, aber am Abend ist man wirklich erschöpft.


Am 28. wird hier der Ochi-Tag gefeiert. Hintergrund ist die Ablehnung des von Benito Mussolini am 28. Oktober 1940 an Griechenland gestellten Ultimatums vor dem Beginn des Griechisch-Italienischen Krieges. An diesem Tag findet eigentlich auch ein Umzug statt, dieser wurde aber wegen Corona abgesagt. Am Tag regnete es stark und wir mussten feststellen, dass unsere Fenster kein bisschen abdichten. Mit Hilfe von Isoliertape und Papa im Videochat konnte ich das Problem zumindest minimieren. 


Am Donnerstag, dem 30. 10.,wurden wir dann plötzlich von der Arbeit nach Hause geschickt, weil jemand aus dem Waisenhaus positiv auf Corona getestet wurde. Später stellte sich dann heraus, dass es sich eigentlich um den Mann der Köchin handelte (dieser arbeitet hier nicht), aber das Ergebnis der Köchin selbst noch nicht feststand. Also waren wir alle in Quarantäne. Am Nachmittag suchte uns dann noch ein Erdbeben der Stärke 6,9 heim, allerdings habe ich davon nichts gemerkt. Das Epizentrum lag bei Samos, und die Stadt Izmir in der Türkei wurde stark zerstört, es gab leider auch Tote. Am Abend wurde das Haus sterilisiert, und wir sollten für die folgenden Tage allesamt zu Hause bleiben. Mir ging es gesundheitlich nicht gut, und ich vermutete wieder eine Nierenbeckenentzündung. Am Abend suchte ich daher noch einen Urologen auf, der mir ein Antibiotikum verschrieb und angeblich erkannte, dass meine Niere fast “tot” sei. Ausgerechnet an diesem Wochenende stand ein Besuch von Oma Uta an, die zu diesem Zeitpunkt schon gelandet war. Ihr könnt Euch vorstellen, dass das Timing der Geschehnisse nicht gerade optimal war…


Trotz Quarantäne traf ich an den darauffolgenden Tagen meine Oma. So gut es ging, hielten wir Abstand. Wir besichtigten die Nea Agora, den Großmeisterpalast, das Aquarium, den Hafen und die Altstadt und bestellten in einem Restaurant eine Fischplatte, die eher für vier Personen gedacht war. Wir hatten eine tolle Zeit, und ich habe mich sehr über ihren Besuch gefreut. Auch, wenn die Umstände besser hätten sein können!


Der Monat Oktober war unglaublich lang, spannend aber auch anstrengend, und ich freue mich, dass Ihr meine Zeit hier auf Rhodos so interessiert verfolgt. 


Auch, wenn das in den November gehört: Die Köchin wurde negativ getestet und meiner Niere geht es gut, es war eine Fehldiagnose. Mehr dazu dann im nächsten Blog!



In der Ritterstrasse

Gasse in der Altstadt
Großmeisterpalast

Sonnenuntergang
Blick von der Burgruine


Kallithea-Bucht

Prassonissi

Tsambika Kloster mit Bucht im Hintergrund


Kommentare

  1. Eigentlich sind sie ja doch ganz nett...bist Du sicher?

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  2. Liebe Aliki, wie schön, von Dir und Deinem Alltag zu lesen :-) Viel Freude noch und bleib' gesund! Lieben Gruß, Nicole

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  3. Vielen Dank für den ausführlichen und so gut recherchierten Bericht. Es bringt viel Spaß ihn zu lesen. Freue mich schon auf die Fortsetzung. Bleibt gesund und behütet! Steffen

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  4. Liebe Aliki. Ich bin sprachlos, natürlich im positiven Sinne. An dir ist eine sehr gute Reise-Journalistin verloren gegangen. Und ich weiss, wovon ich spreche. Auch hast du wieder tolle Fotos eingesetzt. Kompliment. Und deine Eltern sind nicht eigentlich ganz nett, du kannst schon froh und stolz sein, solche Eltern zu haben. Wichtig ist weiterhin, das du gesund bist und bleibst. Das die Arbeit auf Rhodos kein "Honigschlecken" wird bzw. ist, war bei diesen Einrichtungen in Griechenland eigentlich klar. Aber du schaffst das. Weiterhin nur das Beste für dich. 🤗 Michali.

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  5. Chalkidiki
    Ich finde deine Berichte absolut klasse, Es ist so schön zu lesen, wie engagiert ihr jungen Leute arbeitet, euch aber auch für die Geschichte und die Schönheit der Insel interessiert. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung. Oma Uta

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