November
Im November setzte ich meine Arztbesuche dann fort. Als die Ergebnisse des Labors vorlagen, war klar, dass es sich um keine Nierenbeckenentzündung handeln konnte. Der Urologe musste somit seine Diagnose zurücknehmen. Ich besuchte in den folgenden Tagen noch einen Arzt für Innere Medizin, einen Kardiologen (weil Rose der Meinung war, er sei ein genereller Experte) und schließlich eine deutschsprachige Frauenärztin, die eine Zyste am Eierstock und Flüssigkeit im Bauchraum feststellen konnte. Ich war sehr erleichtert, endlich zu wissen, was ich hatte, nachdem ich Stunden in den Wartezimmern der Stadt verbracht hatte. Vielen Dank liebe Rose, dass du mich begleitet hast, und danke Euch für Eure zahlreichen Besserungswünsche!
Mitte des Monats ging es mir dann endlich besser. Die Zyste ist von alleine weggegangen, so dass ich mich keiner OP oder Bauchspiegelung unterziehen musste. Ich war dennoch geschwächt und arbeitete nach der beendeten Quarantäne ab Dienstag, dem 03.11, im Waisenhaus, da hier die Arbeit körperlich deutlich weniger anstrengend ist.
Am Samstag, dem 07.11, hatte in Griechenland der Lockdown begonnen. Das bedeutet, das Verlassen des Hauses ist nur zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sporttreiben, für Bank-, Arzt- und Apothekenbesuche und um anderen Menschen zu helfen, erlaubt. Das muss dann auf einem Zettel oder per SMS mit Namen, Adresse, Datum, Uhrzeit und Grund festgehalten werden, so dass man es bei einer Polizeikontrolle vorzeigen kann. Generell gilt die Maskenpflicht sowie das Abstandhalten. Supermärkte haben geöffnet, Restaurants und Cafés bieten Lieferdienste und to-go an, alles andere ist geschlossen.
Wir sind sehr froh, dass wir trotz des Lockdowns arbeiten gehen können. Im Behindertenheim Agios Andreas trauen wir uns mittlerweile mehr zu. Wir lernen die Kinder und das Personal immer besser kennen, kennen die Abläufe und Regeln. Bei den Seminaren mit der deutschen Psychologin Helga lernten wir etwas über die Entwicklungsstadien von Kindern und stellten fest, dass Rosa, Emilia und Costa (siehe Blog Oktober) aus dem Behindertenheim “Agios Andreas” teilweise gerade erst die geistigen und körperlichen Fähigkeiten eines Säuglings oder eines Kleinkindes beherrschen. Wir redeten auch darüber, wie wir die Kinder am besten fördern können. So trainieren wir zum Beispiel mit Emilia das Essen und üben das Laufen. Es ist toll, Fortschritte beobachten zu können! Außerdem putzen wir den Kindern die Zähne, ein Projekt, was unsere Vorgänger gestartet haben. Das klappt mal mehr, mal weniger gut. Die Zähne wurden viel zu lange nicht geputzt und sind schief, schwarz, kaputt oder fehlen ganz - dabei sind die Kinder noch so jung! Sie lieben es, eingecremt zu werden, wir schaukeln stundenlang mit den Mädchen, während Costa in der Zeit Tore und Türen öffnet und schließt, wieder öffnet, schließt, daran rüttelt und alles genau inspiziert.
Wir verbringen die meiste Zeit mit den drei Jüngsten, da wir hier noch am meisten Einfluss nehmen können. Wenn wir einem Kind das selbständige Essen beibringen, kann es diese Fähigkeit immer nutzen. Das schafft sehr viel Freiheit.
Mit Rosa spielen wir auf der Wiese oder in der Erde, wobei man aufpassen muss, dass kein Pfleger uns dabei sieht. Das Personal ist übervorsichtig und hat Angst, dass die Kinder sich verletzen könnten. Ist etwas es kühler, müssen dicke Jacken angezogen werden, wenn es geregnet hat, kostet es uns Überredungskunst, die Kinder überhaupt mit ins Freie nehmen zu dürfen, da sie nass werden und sich somit erkälten könnten. Costa darf nicht auf dem Boden sitzen, da er eine Allergie hat, und an Türen und Toren darf er auch nicht gesehen werden, weil man befürchtet, er mache etwas kaputt. Rosa soll den Boden lieber nicht anfassen, da sie sich etwas in den Mund stecken - oder sich beim Wasser nass machen könnte. Damit fehlen den Kindern Erfahrungen, wie es ist, durch einen Regenschauer oder in eine Pfütze zu laufen, aber auch Sinneseindrücke wie Matsch, Sand oder anderes anzufassen, zu fühlen, riechen und vielleicht sogar schmecken zu können. Wir müssen immer abwägen, was den Kindern Spaß bringen und neue Erfahrungen schenken würde, und wo man vielleicht schon die Grenze des Erlaubten überschreitet. Die Vorsicht ist insofern verständlich und gerechtfertigt, als der griechische Staat seine Angestellten sehr schlecht schützt. Wenn ein Kind erkrankt oder sich verletzt, haftet das Personal, es gibt nur ein schwaches Arbeitsschutzgesetz.
auf der Schaukel im Agios Andreas |
Positiv möchte ich an dieser Stelle berichten, dass Dank des Fördervereins des Agios Andreas, deren Vorsitzende Rose ist, kürzlich neue Rollstühle sowie ein hydraulisches Bett angeschafft werden konnten. Davon werde ich dann im nächsten Blog Fotos zeigen. Der Verein hat bereits zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten bereitstellen können und so die Ausstattung des Heims und das Leben der Bewohner sehr bereichert.
Vom 14.-16.11 verbrachten wir das Wochenende bei Rose und Niclas. Nele und ich spazierten durch Ialysos, und Sophie und Niclas wanderten auf den Filerimos-Berg, wo sich die Akropolis der Antiken Stadt Ialysos befand. Am Abend kochten wir zusammen.
In der Woche im Waisenhaus war wegen des Lockdowns wenig zu tun, die Kinder haben Online-Unterricht, und Nachmittagsaktivitäten fallen aus. Nur ein Mädchen besucht weiterhin die Sonderschule, zu der wir sie hinbringen und abholen. Am Wochenende gingen wir nach draußen, um am Strand “Sport” zu machen, und nutzten unseren freien Abend, um mit den Mädchen im Waisenhaus zu spielen. Diese haben alle ganz verschiedene Schicksale, die meisten sind Sozialwaisen. Das bedeutet, dass es zwar Eltern oder Verwandte gibt, diese sich aber nicht kümmern können oder wollen. Die Kinder haben oft Gewalt und Misshandlungen erfahren, oder es gab Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Mittlerweile ist das Eis gebrochen und die Mädchen kennen uns. Wir malen mit ihnen, hören Musik oder unterhalten uns, wobei ich mein Griechisch weiter verbessern kann. An zwei Morgen in der Woche haben wir nämlich Online-Griechischunterricht, und an zwei Abenden gebe ich Deutsch- und Sophie Französisch-Nachhilfe hier im Waisenhaus. Das macht mir sehr viel Spaß - und den Mädchen, glaube ich, auch.
Im Behindertenheim Agios Andreas führten wir mit den Krankenschwestern und dem Leiter ein Gespräch, bei dem sie uns bekannt gaben, dass wir nun auch andere Bewohner mit hinaus nehmen dürfen. Sie zeigten uns einen neuen Raum, den wir insbesondere am Abend oder bei schlechtem Wetter nutzen können. Außerdem erklärten sie uns, dass sie im Moment “zu viel” Personal haben. Das hat mich zunächst sehr nachdenklich gemacht, weil ich mich irgendwie nicht richtig benötigt gefühlt habe. Ich möchte mein soziales Jahr nicht einer Sache widmen, bei der ich überflüssig bin. Mittlerweile bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass vielleicht genügend Mitarbeiter da sind, aber nicht alle motiviert, viel Arbeit zu investieren, sich intensiv mit den Kindern zu beschäftigen, sie zu fördern und auf ihre konkreten Bedürfnisse einzugehen. Wenn es schnell gehen muss, werden zum Beispiel Kinder gefüttert, die eigentlich alleine essen könnten, oder Bewohner in Rollstühle gesetzt, obwohl sie eigentlich laufen könnten, nur weil der Gang etwas langsam oder nur mit Hilfe möglich ist, und weil das Personal über einen Rollstuhlfahrer natürlich mehr Kontrolle hat.
Eine Weihnachtsstimmung kommt, vermutlich wegen des Klimas, nicht richtig auf. Die Weihnachtsbeleuchtung an den Straßen wirkt irgendwie deplatziert. Außerdem macht uns allen der Lockdown zu schaffen. Wir haben kaum noch Freizeitbeschäftigung, und wenn man etwas braucht, wie zum Beispiel eine Regenjacke (wegen des monsunartigen Regens), muss man 2-3 Wochen auf ein Paket aus Deutschland warten. Niclas darf uns im Waisenhaus nicht besuchen, sonntags ist kein Busverkehr, und Rose darf nicht mehrere Menschen im Auto mitnehmen. So ist er noch häufiger alleine als ohnehin schon wegen der Wohnsituation. Wir Mädchen wohnen, arbeiten, schlafen und essen zusammen und gehen uns dementsprechend manchmal sehr auf die Nerven. Das Ein- und Ausgehen im Waisenhaus ist ohnehin wegen der Öffnungszeiten schwierig, und jetzt kommen noch die Corona-Beschränkungen dazu. Am Wochenende mache ich jetzt immer stundenlange Streifzüge durch die Altstadt und an den Hafen, fotografiere viel und merke mir Plätze, Cafés, Bars und Geschäfte, die ich gerne eines Tages nach dem Lockdown besuchen möchte. Uns allen fehlt ein Ausgleich zur Arbeit und zum Zusammensein. Jetzt soll der Lockdown bis zum 07.01.21 (Angaben verändern sich ständig) verlängert werden. Damit sind wir dann bald zwei Monate im Lockdown…
Trotzdem freue ich mich auf den Dezember in dem ein Besuch von Jonas, so wie das Weihnachtsfest hier auf Rhodos ansteht. Mehr dazu dann im nächsten Blog
Altstadt |
Weihnachtsdeko im Agios Andreas |
Picknick im Wallgraben (Sophie, Nele u. Niclas) |
Halt durch, mein Mädchen! Der Lockdown trifft Euch in der Fremde natürlich besonders hart. Aber wir hoffen und wünschen für Dich, dass bald wieder bessere Zeiten anbrechen und Du auch die schönen Seiten des Freiwilligendienstes genießen kannst! Und morgen kommt ja schon Jonas ❤️
AntwortenLöschenWir denken an Dich.
Liebe Aliki. Es ist wieder ein sehr schöner und aufschlussreicher gut geschriebener Bericht. Wir freuen uns sehr, das es dir wieder gesundheitlich viel besser geht. Alles Weitere wirst du auch schaffen. Und ich hoffe, dass das Paket jetzt auch wirklich ankommt. Auf dem Festland ist eins schon angekommen. 🤔 Viele liebe Gruesse aus Hamburg 🤗
AntwortenLöschenDieser blöde Lockdown macht es euch sicher nicht leicht, mit dem gleichen Elan zu arbeiten wie vorher. Aber beim Lesen deines Berichtes spürt man wieder, wie gut du den Kindern tust, liebe Aliki. Der liebevolle Umgang mit ihnen ist jetzt ja besonders nötig, da sie nicht mehr in lächelnde Gesichter blicken. Weiterhin viel Kraft und Freude wünscht dir deine Oma Uta
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