Dezember
Kaffeetrinken am Elli-Beach |
Leider wurde ich kurz nach Jonas Abreise krank (mal wieder) und wurde auch den ganzen Monat lang nicht richtig gesund. Ich musste husten, fühlte mich fiebrig, abgeschlagen und hatte starke Lungenschmerzen. Nele verspürte die gleichen Symptome, und so isolierten wir uns, gingen zum Schutz der Kinder nicht zur Arbeit und machten einen Corona-Test (mein ca. 8. Test durch die Nase, und ich kann Euch sagen, das ist einfach eklig: gefühlt wird einem durch’s Auge bis ins Gehirn gebohrt), der aber negativ ausfiel. Trotz Medikamenten dauerte der Husten ganze zwei Wochen an, so dass wir schließlich doch einen Arzt aufsuchen mussten, der uns dann für mehrere Untersuchungen ins Krankenhaus schickte. Dort wurde bei Nele eine Lungenentzündung diagnostiziert - bei mir zum Glück nicht. Aber da wir beide ähnliche Symptome zeigten, wurden uns Antibiotika verordnet. Seitdem geht es uns beiden etwas besser. Weil ich die Kinder im Agios Andreas sehr vermisse, hoffe ich, dass ich ab Montag (4.1.) endlich wieder arbeiten gehen kann!
Nun aber genug über meine Krankheit, die den Dezember leider stark bestimmt hat. Aber ich möchte Euch von den Feiertagen berichten, die ich zum ersten mal nicht in Hamburg verbracht habe.
Am Morgen des 24. verteilten wir Mädchen hier im Waisenhaus kleine Geschenke an die Kinder, Betreuerinnen, Köche, Putzpersonal, Heimleitung, an die beiden Fahrer und jeden, der uns noch über den Weg lief. Wir hatten Tütchen mit Süßigkeiten vorbereitet, und Carmen, eine Frau aus der Kirchengemeinde, hatte dazu eine große Spende an Keksen organisiert. Sophie nahm Kekse mit in das Behindertenheim Agios Andreas, wo sie diese mit Niclas verteilte. Nele und ich verbrachten Zeit mit den Kindern hier im Waisenheim, malten mit ihnen, lackierten Fingernägel und sahen beim Auspacken der Geschenke zu: Das Waisenhaus hatte Spenden von der griechischen Spielwarenhauskette “Jumbo” erhalten.
Natürlich freuten sich die Kinder über ihre Geschenke aber wir merkten auch, dass viele Kinder traurig wirkten und ihre Familien oder generell “eine Familie” vermissten.
In Griechenland wird Weihnachten allerdings nicht wie bei uns am 24.12. gefeiert, sondern einen Tag später. An dem Tag waren wir nicht im Waisenhaus, so dass ich nicht sagen kann, ob und wie das Fest im Waisenhaus begangen wird. Ich habe allerdings für mich selber festgestellt, dass Weihnachtsstimmung mit blauem Himmel, Sonnenschein und Strandspaziergängen bei milden Temperaturen nur schwer aufkommt!
An Weihnachten kam ein neues Mädchen ins Heim, die, wie später in der Zeitung berichtet wurde, zuvor von ihrem 12 Jahre alten Bruder mit einem Messer attackiert wurde. Er hatte ihr bei dem Angriff das Bein gebrochen und den Arm verletzt, so dass sie aus der Familie und zu uns in Obhut genommen wurde. Häusliche Gewalt, das habe ich ja bereits erzählt, ist ein häufiger Grund dafür, dass Kinder zu uns kommen. Ein anderes Mädchen konnte dafür kurz nach Weihnachten das Heim verlassen und zu ihrer ihrer Tante ziehen. Wir hoffen für sie, dass sie dort ein besseres Leben führen kann!
Am Nachmittag baten wir den Fahrer Niko, uns zum Flüchtlingsheim am Hafen zu fahren. Wir hatten zuvor nämlich ein Paket vorbereitet, in das wir ebenfalls Süßigkeiten, Snacks, aber auch Duschgel, Socken, Zahnbürsten und andere Kleinigkeiten gepackt hatten. Die geflüchteten Menschen leben in diesem “Heim” unter fürchterlichen Bedingungen und können jede noch so kleine Hilfe und Aufmerksamkeit gebrauchen. Wir mussten aber immer wieder die Erfahrung machen, dass nicht jeder unser Engagement versteht, weil die Unterbringung der Flüchtlinge in Griechenland bei großen Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stößt. Es gibt Vorurteile und Ressentiments, dazu sind viele Einheimische eher islamfeindlich. Aber wir lassen uns davon nicht beirren, uns geht es um die Menschen, nicht um Politik oder Religion.
Wir trafen uns am Abend bei Rose, um Heilig Abend gemeinsam zu feiern. Sophie machte für uns Waffeln und las die Weihnachtsgeschichte vor. Dann packten wir unsere gewichtelten Geschenke aus. Rose schenkte uns einen Trip nach Symi (eine Nachbarinsel) worüber wir uns sehr freuten!! Dann packte ich noch die Geschenke meiner Freunde und meiner Familie aus, die mir danach am Telefon (nicht ganz ernst) vorwarf, ich hätte das mit ihnen per Videochat zusammen machen sollen. Auch die anderen telefonierten mit ihren Familien. Es ist schon ein bisschen komisch, Weihnachten ohne seine Familie zu verbringen, aber ich wollte mich ganz auf das Fest hier einlassen. Ich hatte das auch von Anfang an so geplant, daher war es für mich vielleicht nicht ganz so hart wie z.B. für Niclas, der Weihnachten eigentlich zu Hause feiern wollte, das aber wegen Corona nicht konnte. Aber wir machten das Beste daraus: wir aßen Pizza, guckten einen Weihnachtsfilm und fuhren erst am Abend des 25. zurück ins Waisenhaus.
Die Arbeit im Waisenhaus fiel wegen der Schulferien aus, aber wir gingen trotzdem oft nach unten zu den Kindern, die wir sehr lieb gewonnen haben. Hier fühlen wir uns noch immer wohl, aber die Art der Kommunikation seitens des Personals wird zunehmend problematisch. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, wird in der Regel über uns geredet, aber nie mit uns, so dass Gerüchte im ganzen Haus kursieren und nur wir nichts davon wissen. Meistens erfahren wir solche Dinge erst von unser Psychologin Helga, die in regelmäßigem Kontakt zur Heimleitung steht. Das stört uns sehr. Wir würden uns wünschen, wie die anderen Mitarbeiter behandelt zu werden, und wenn es ein Problem gibt, oder wir etwas falsch machen, man direkt mit uns kommuniziert. Dann könnten wir Dinge sofort ändern oder Missverständnisse aufklären, anstatt dass sich Ärger immer weiter aufstaut. Das kostet alle Beteiligten Kraft und Nerven.
Es kommt auch immer noch vor, dass wir abends vor der verschlossenen Tür stehen, weil uns niemand aufmacht. Insbesondere eine Mitarbeiterin hat ganz offensichtlich eine heimliche Freude daran und vermittelt uns regelmäßig das Gefühl, die nervigste Belastung überhaupt zu sein. Ich habe häufig den Eindruck, dass vielen Mitarbeiterinnen nicht klar ist, mit welchen Absichten wir hier sind, was es bedeutet, einen Freiwilligendienst zu leisten, und warum wir das tun. Vielleicht fühlen sie sich von uns aber auch irgendwie bedroht oder kontrolliert - ich weiß es nicht. Möglicherweise liegt es einfach nur daran, dass in Griechenland Freiwilligendienste wie das FSJ eine Seltenheit sind, bzw. es kaum Angebote gibt. Aber auch hier wäre ein Gespräch miteinander hilfreich.
Bis zum Jahresende gingen wir nicht zur Arbeit ins Agios Andreas, da die Kinder dort eben sehr anfällig für Krankheiten sind. Das wurde uns ganz bewusst noch einmal vor Augen geführt, als kürzlich ein Bewohnermit 42 Jahren verstarb.(Jetzt haben wir ja das Antibiotikum und ich hoffe wir können im Januar wieder durchstarten!)
In dieser Zeit war uns aber natürlich oft sehr langweilig, zumal im Lockdown auch sonst kaum Abwechslung möglich ist. Um nicht jeden Tag nur drinnen zu sitzen, gingen wir fast jeden Abend eine kleine Runde in der Altstadt spazieren. Langsam kommen wir in dem Netz von vielen kleinen verwinkelten Gassen etwas besser zurecht. Ich liebe es dort sehr, man hat das Gefühl, die Zeit ist irgendwie stehen geblieben, und es ist das richtige “Bilderbuch-Griechenland”. Weihnachtsdeko leuchtet in den Fenstern, pinke Bougainvillea wuchert die Mauern hoch, Omis (griechisch: yiayia) sitzen auf Holzstühlen auf den gepflasterten Wegen vor ihren Häusern, Wäsche ist über die Gassen gespannt und Fenster und Türen stehen offen.
Als wir an so einer offenen Tür vorbei liefen, wünschte uns ein Mann auf griechisch ein frohes neues Jahr, worauf wir dann noch griechisch (Dank unseres fortwährenden online-Unterrichts) antworten konnten. Als er dann aber noch etwas sagte und wir nichts verstanden, mussten wir uns doch als Ausländer outen, und leider war sein Englisch auch nicht so gut, so dass die Unterhaltung sehr kurz wurde. Wir gingen schon weiter, als er plötzlich rief, wir sollten zurückkommen. Der Mann holte ein kleines Päckchen heraus und bot uns eine frische Spanakopita an. Das ist ein Blätterteig gefüllt mit Feta und Spinat. Das war so nett, und wir waren danach noch ganz gerührt von dieser Herzlichkeit. Ich kann Euch also berichten: die griechische Gastfreundlichkeit gibt es noch! Auch - oder vielleicht gerade - abseits der Tourismus. Das hat mir wieder gezeigt, wie wir mit kleinen Gesten Menschen eine Freude machen können, und wie schön es sein würde, wenn alle Menschen so aufgeschlossen und freundlich wären. Die Welt hätte ein anderes Gesicht!
Es gibt derzeit immer noch die Ausgangssperre ab 21.00 Uhr, und das Ausgehen ist nur mit einem bestimmten Grund gestattet. Aber es ist wieder erlaubt, mit mehr als zwei Personen im Auto zu fahren, so dass wir uns an einem freien Tag zu viert einen Ausflug an einen See und zur Anthony-Quinn-Bucht machen konnten (die heißt so, seitdem dort Dreharbeiten für den Film “Alexis Zorbas” stattfanden). Wir wünschen uns für die kommende Zeit vor allem eine Lockerung des Lockdowns und die Öffnung von weiteren Läden, Bars und Restaurants. Ein bisschen mehr “normales Leben” wäre zu schön!
Abend am See |
mit Sophie, Nele und Niclas in der Anthony Quinn Bucht |
An Silvester gingen wir wieder spazieren, verbrachten etwas Zeit mit den Mädchen im Waisenhaus und guckten dann von unserer Dachterrasse das öffentliche Feuerwerk am Hafen an. Der Ausblick von hier oben ist einfach immer wieder beeindruckend, mit und ohne Silvesterraketen. Nun wünsche ich Euch und uns allen einen guten Start in ein frohes neues Jahr, das hoffentlich bald Corona-frei ist!
Liebe Grüße und bis zum Januar-Blog, Eure Aliki
verfallenes Haus im neoklassizistischen Stil |
Weihnachtssterne in der Altstadt |
Niclas auf den Felsen |
Am Mandraki Hafen |
Brandung in der Anthony Quinn Bucht |
mit Nele in der Altstadt |
Liebe Aliki, es ist ein wunderbarer Bericht. Ich wünsche Euch weiterhin viele schöne Erlebnisse und auf jeden Fall gute Besserung.
AntwortenLöschenLG Caroline
Gute Besserung, mein Mädchen, ab jetzt bleibt Ihr bitte gesund! Vielen Dank für den lebendigen Bericht und die schönen Fotos. Καλή χρονιά!
AntwortenLöschenEin besonders schöner, interessanter und anschaulicher Bericht, meine Liebe tolle Enkelin! Deine Erkrankung tut mir sehr weh, und ich finde, damit muss jetzt mal Schluss sein !
AntwortenLöschenDie Jahreslosung für 2021 lautet: Seid barmherzig!
Ihr habt sie schon 2020 angewandt. Aber diese Barmherzigkeit soll ja auch jeder sich selbst gegenüber verwirklichen. Also nicht völlig verausgaben!!
Bei dem Teil mit der σπανακόπιτα musste ich fast weinen :( Vermisse dich du süße Maus <33
AntwortenLöschenLiebe Aliki. Wieder sehr gut geschrieben. Kompliment. Es ist etwas traurig, das es dort Personen gibt, die euer Engagemant nicht würdigen. Aber es ist wichtig, immer das Beste daraus zu machen. Bleib vor allem gesund. Viele liebe Gruesse. Μιχαλη.
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